Stellungnahme der Suchthilfe
12 Apr

Gerne beantwortet die Landesstelle für Suchtfragen die Nachfrage zur Lage der Suchthilfe Angebote und Versorgung für Frauen in Baden-Württemberg. Wir sind dankbar für diese Anfrage, denn wir sehen auch einen Bedarf, dieses Thema immer wieder aufzurufen.

Zunächst gilt, wie bei allen suchtbezogenen Hilfeangeboten, dass die Suchtberatungsstellen in Baden-Württemberg einen umfassenden Auftrag haben, alle Menschen mit Suchtproblemen und deren Angehörige und nahestehenden Menschen zu beraten, begleiten und ggf. in eine Behandlung zu vermitteln. Da in Baden-Württemberg in allen Stadt- und Landkreisen Suchtberatungsstellen vorhanden sind, gibt es dadurch ein flächendeckendes Angebot, das für alle Zielgruppen, so auch Frauen, zugänglich ist. Laut Suchthilfestatistik 2020 werden 103 Beratungsstellen mit rund 500 Mitarbeitenden dokumentiert.

Die Suchthilfestatistik zeigt, dass die Geschlechterverteilung über viele Jahre das gleiche Bild ergibt: Männer machen mit 77 % dreiviertel der Klientel aus, die mit eigener Suchtproblematik in die Beratungsstelle kommen. Frauen mit einer eigenen Suchtproblematik machen mit einem Drittel des Klientel die Minderheit aus. Gegenläufig verhält es sich bei der Gruppe der Bezugspersonen: Hier bilden Frauen mit 75 % die große Mehrheit.

In Baden-Württemberg gibt es zwei spezialisierte Suchtberatungsstellen für Frauen und Mädchen, Frauen-Zimmer in Freiburg und Lagaya in Stuttgart. Beide Einrichtungen halten Beratungs-, Behandlungs- und Präventionsangebote vor, sowie betreute Wohnangebote für Frauen. Die Einrichtung KID in Karlsruhe ist spezialisiert auf drogenabhängige Eltern und deren Kinder. Integriert ist ein spezifisches Angebot für drogenabhängige oder substituierte Frauen in der Schwangerschaft. Ebenso unterhält der Drogenverein Mannheim regelhaft ein spezifisches Beratungs- und Betreuungsangebot für schwangere Frauen und darüber hinaus eine intensive Begleitung für Kinder. In Stuttgart gibt es von der Einrichtung JELLA ein therapeutisches Wohnangebot für Mädchen mit Suchtproblematik. JELLA wird als Jugendhilfeeinrichtung geführt und ist ein positives Beispiel für die Schnittstelle Jugendhilfe und Suchthilfe.

Diese frauenspezifischen Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe machen dringend notwendige Angebote in den Metropolräumen Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Freiburg. Gerade der ländliche Raum wird häufig durch kleinere Beratungsstellen versorgt, denen die Personalressourcen für Spezialisierungen fehlen. Die Suchtberatungsstellen bieten teilweise frauenspezifische Gruppenangebote an. Dies wird jedoch nicht systematisch erfasst und kann deshalb nicht konkretisiert werden. Für eine Versorgung, die den genderspezifischen Bedarfen von suchtkranken Frauen gerecht wird, braucht es entsprechend mehr Ressourcen.

In Baden-Württemberg gibt es 4 frauenspezifische Suchtkliniken: Fachklinik Lindenhof (Schallstadt bei Freiburg), Fachklinik Haus Kraichtalblick (Kraichtal-Oberacker), Fachklinik Schloz (Freudenstadt), Fachklinik Höchsten (Wilhelmsdorf). Lindenhof und Haus Kraichtalblick bieten die Mitaufnahme von Kindern an.

Wie in der Anfrage zutreffend beschrieben wird, gibt es eine nicht zufriedenstellende Versorgung für suchtkranke, von Gewalt betroffene Frauen. Die Gewaltbetroffenheit von Frauen in der Suchthilfe ist besonders hoch: 50 – 60 % sind von körperlicher Gewalt betroffen, 30 – 40 % von sexualisierter Gewalt. Der Konsum psychotroper Substanzen erhöht zudem das Risiko im sozialen Nahraum zum Opfer von Gewalt zu werden. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und einer Abhängigkeitsstörung. 50 % der suchtkranken Frauen sind davon betroffen.

Ganz aktuell konnte der Drogenverein Mannheim in Zusammenarbeit mit dem lokalen Frauenhaus hierzu ein Wohnangebot schaffen, indem von häuslicher Gewalt betroffene, suchtkranke Frauen mit ihren Kindern in akut gefährdeter Lage vorrausichtlich ab Mai 2022 Aufnahme finden können. (Das Projekt SeGeL ist mit 6 Plätzen derzeit das einzige Angebot dieser Art in BW)

Als bisher ungelöst muss die Tatsache betrachtet werden, dass von akuter Gewalt und von Sucht betroffene Frauen von den Frauenhäusern in der Regel wegen der Suchtproblematik nicht aufgenommen werden können. In den Suchtberatungsstellen beschweigen betroffene Frauen die Gewalterfahrungen zunächst aus Scham und Misstrauen. Erforderlich ist, dass Einrichtungen Gewaltbetroffenheit und Sucht zusammen in den Blick nehmen. D.h geschützte Räume der Kontaktaufnahme anbieten und geschulte Mitarbeitende gezielt Gewalterfahrungen erfragen. Die Problematik beim Hilfesystem der ambulanten Beratungsstellen ist in Ressourcenmangel und Abgrenzung von Zuständigkeiten zu sehen. Es fehlt an integrierten Hilfeangeboten vor Ort, die die Zuständigkeitsgrenzen zugunsten integrierter Hilfemodelle überschreiten. (Frauenhaus, Wohnungslosenhilfe, Suchtberatung…)

Frauen und Männer unterscheiden sich bzgl. Ursachen und Verläufen von Suchterkrankungen, sowie hinsichtlich bevorzugter Suchtmittel, Konsummuster und komorbider Störungen. Bekannt ist, dass Frauen häufiger Abhängigkeitsstörungen hinsichtlich psychotroper Medikamente entwickeln und diese Gefahr mit zunehmendem Alter steigt. Es kann davon ausgegangen werden, dass 60 – 70 % der Medikamentenabhängigen in Deutschland (lt. DHS 1,5 – 1,9 Mio.) weiblich sind. Von Essstörungen sind zu zweidrittel Frauen betroffen.

Die Zahlen der Suchthilfestatistik für BW bilden diese Zahlen nicht ab, so dass davon ausgegangen werden muss, dass betroffene Frauen nicht hinreichend von den Angeboten der Suchthilfe erreicht werden bzw. diese zu hochschwellig sind.

Ein 5jähriges Projekt aus NRW (Medikamentenabhängige schwangere Frauen, Mütter und ihre Kinder, NRW Bella Donna1) kommt zu dem Schluss: „Frauen vermissen Anlaufstellen, um sich zu Medikamenten, Wirkungsweisen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen unabhängig beraten zu lassen….die Frauen stellen fest, dass in der Suchthilfe Alkohol und illegale Drogen im Vordergrund stehen würden….“

Da die Zielgruppe der medikamentenabhängigen Frauen durch die ambulante Suchthilfe nicht zufriedenstellend erreicht wird, kann hier ein Bedarf gesehen werden, gezielte, passgenaue Angebote zu entwickeln.

Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, welch ausgeprägte Hemmnisse für Frauen bestehen eine Hilfeeinrichtung aufzusuchen: Dazu gehören Misstrauen, Scham, Angst vor Gruppen, Angst vor Kontrollverlust, Betreuungsverantwortung für Kinder u.a. Der Zugang zum Hilfesystem ist auch geprägt durch strukturelle und konzeptionelle Erschwernisse. Häufige Minderheitenpositionen in gemischtgeschlechtlichen Angeboten schmälern deren Wirksamkeit für Frauen. (s.o. ¾ des Klientel ist männlich).

Die Erweiterung der Einrichtungskonzepte um geschlechtergerechte Zugänge und Handlungsansätze für Beratung und Prävention ist bislang nicht flächendeckend gesichert und punktuell getragen vom Engagement einzelner Mitarbeitenden. Gendermainstreaming in den ambulanten Einrichtungen der Suchthilfe ist notwendig, erfordert aber Zeit, Personal und Ressourcen.