08 Mai

Eckpunkte eines 2-Säulen-Modells

Die Landesstelle für Suchtfragen begrüßt prinzipiell, dass die Bundesregierung auf dem Weg zur Entkriminalisierung des Cannabiskonsums einen weiteren Schritt hinsichtlich der gesetzlichen Umsetzung geht. Ganz besonders begrüßen wir, dass die Umsetzung als gesellschaftlicher Prozess begriffen und dementsprechend langfristig angegangen wird. Ein ernsthafter Abwägungsprozess zwischen der Ermöglichung eines (eigen-)verantwortlichem Konsums und einer gleichzeitigen bewussten Inkaufnahme der bekannten gesundheitlichen Gefahren bleibt in der Ausformulierung des 2-Säulen-Modells erkennbar. Als Beleg dafür sehen wir die Differenzierung der Abgabe in Altersstufen, also Konsument:innen unter 21 Jahren in Menge und THC-Gehalt begrenzt werden. Das ist ein wichtiges Signal.

Geplante Unübersichtlichkeit

Zu befürworten ist ebenfalls, dass im ersten Schritt keine gewinnorientierten Marktprozesse in Gang gesetzt werden. Dabei ist allerdings kritisch zu betrachten, dass Anbau und Vertrieb in privaten Vereinigungen nicht wirklich effektiv kontrolliert werden können. Staatliche Verkaufsstellen sind dem deutlich überlegen. Europarechtliche Hintergründe sind für diese Regelung anzunehmen. Gleichzeitig kommerzielle Lieferketten als Modellvorhaben einzurichten und zusätzlich den Selbstanbau zu ermöglichen, sehen wir jedoch kritisch. Durch die „Drei-Komponenten-Lösung“ wird Cannabis aus unterschiedlichen und nicht mehr rückverfolgbaren Bezugsquellen im Umlauf sein. Eine Evaluation des Legalisierungsprozesses wird dadurch erheblich erschwert. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die verschiedenen Ansätze gegenseitig in der Entwicklung behindern. Nicht nur für potentielle Konsument:innen, sondern auch für Aufsichtsbehörden kommt dies einer geplanten Unübersichtlichkeit gleich.

Prävention ungenügend bedacht

In der Stellungnahme der LSS zur Cannabisfreigabe vom Okt. 2021 wurde betont, dass eine Freigabe nur mit Begleitung und Verstärkung von Prävention einhergehen darf. Obwohl in den Vorankündigungen und Diskussionsprozessen von allen Beteiligten die Prävention in ihrer Bedeutung stark hervorgehoben wurde, ist dies nun in dem 2. Eckpunktepapier nicht erkennbar. Der Präventionsgedanke erschöpft sich in der Forderung eines Jugendschutz-, Sucht- und Präventionsbeauftragten der Cannabis produzierenden Vereinigungen und der verpflichtenden Teilnahme an Frühinterventions- und Präventionsprogrammen für minderjährige Konsument:innen. Diese Präventionsvorstellung halten wir für absolut unzureichend und hinsichtlich der Präventionsbeauftragten auch für illusorisch – zumindest wenn man den Präventionsauftrag ernst nimmt. Die Beschreibung der Kooperationsverpflichtung mit den örtlichen Präventions- und Beratungsstellen ist auf den ersten Blick selbsterklärend, ignoriert jedoch die Tatsache, dass dies ressourcenmäßig von den Beratungsstellen nicht geleistet werden kann und auch inhaltlich nicht ohne Widersprüche bleibt.

Die universelle Suchtprävention muss unabdingbare im Prozess der Legalisierung des Cannabiskonsums flächendeckend verbindlich gestärkt werden. Zwar findet sich in dem 2. Eckpunktepapier der Hinweis, dass alle formulierten Maßnahmen des Jugend- und Gesundheitsschutzes aus dem 1. Eckpunktepapier umzusetzen sind.

Dies jedoch mit der Einschränkung, dass keine Notifizierungspflicht und Zustimmungspflicht des Bundesrates ausgelöst wird. Diese Einschränkung darf auf keinen Fall die erwähnte universelle, selektive und indizierte Prävention in den Lebenswelten einschränken.

Der Ausbau der Prävention muss gewährleistet werden und mit Ressourcen hinterlegt werden. Der Satz im 1. Eckpunktepapier „Die Finanzierung und Ausgestaltung der neuen Maßnahmen wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten sichergestellt“, lässt aufhorchen. Die Verantwortung zur Suchtprävention wird schon heute mit dem wiederkehrenden Slogan „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ hin und her geschoben. Dies darf sich nun unter dem Deckmantel „verfassungsrechtliche Zuständigkeit“ nicht wiederholen. Institutionen und Zuständigkeiten müssen klar benannt und budgetiert werden.

Kontrollmechanismen rätselhaft

Die Zulassung und Überwachung sämtlicher Abläufe werden den Landesbehörden zugedacht. Im Folgenden dazu eine Auflistung der zu überprüfenden Sachverhalte:

  • Zulässige Aufzucht von Cannabispflanzen in Vereinigungen
  • Räumliche Mindestschutzmaßnahmen
    (Einbruchsicher)
  • Überprüfung der Zuverlässigkeit der führenden Personen der Vereinigungen
  • Regelkonforme Abgabe von Cannabis inkl. richtiger Informationsvermittlung zu Risiken des Konsums und Beratungsstellen
  • Verbot des Verkaufs weiterer Genuss- und Suchtmittel
  • Abstandsgebote
  • Werbeverbote

Es muss weiterhin geklärt werden, wer die Kontrollstellen weiterbildet und entsprechend zertifiziert. Dies darf nicht einer regionalen und örtlichen Willkür ausgesetzt sein. Bundeseinheitliche Standards müssen dafür entwickelt werden.

Es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass die kommunalen Ordnungsämter keine Ressourcen für diese Aufgabe abstellen können. Erfahrungen aus der Zuständigkeit der Ordnungsämter für die Überprüfung von Glücksspielangeboten zeigt, dass diese Form der Kontrolle an der Umsetzung scheitert.

Eine Lösung könnte in zentralen, speziell fachlich geschulten Institutionen liegen.

Modellvorhaben für kommerzielle Angebote

Ein regionales Modellvorhaben ist so wenig beschrieben, dass eine Bewertung nicht möglich ist. Gleichzeitig wird von „Unternehmen“ im Plural gesprochen, was impliziert, dass hier ein freier Markt entstehen könnte. Prinzipiell halten wir es für problematisch, auf dem Weg zur Legalisierung 2 Wege gleichzeitig zu beschreiten. Falls eine Marktöffnung letztlich anvisiert wird, so wäre eine Modellregion zur Erprobung auf jeden Fall zu befürworten.