Stellungnahme der Suchthilfe
28 Okt

Laut dem Drogen- und Suchtbericht 2019 leiden in Deutschland etwas mehr als 500.000 Menschen an einem problematischen oder pathologischen Glücksspielverhalten. Präferiert werden von Spielerinnen insbesondere Internet-Casinospiele, Geldspielautomaten, Bingo, Sportwetten sowie das „Kleine Spiel“ (Automatenspiel) in der Spielbank. In Baden-Württemberg fragten im Jahr 2019 rund 3 300 Personen mit problematischem und pathologischem Glücksspielverhalten in einer Beratungsstelle um Unterstützung nach. Nach Hochrechnungen der PAGE Studie von 2011 ergibt sich für die Prävalenz in Baden-Württemberg, dass in etwa 22.300 Menschen problematisch spielen und rund weitere 25.000 pathologisch Spielen. Da in der Regel Familienangehörige und andere wichtige Bezugspersonen mit betroffen sind, kann man davon ausgehen, dass ca. 5 –10 % der Bevölkerung im Lauf ihres Lebens mit den problematischen Seiten des Glücksspiels konfrontiert sind. Insgesamt sind das allein in Baden-Württemberg zwischen 400.000 und 900.000 Menschen, die vom dadurch bedingten Risiko einer Verschuldung, Brüchen in Beziehungen, Verlust der Wohnung etc. betroffen sind.

Tatsache ist, dass die Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) eine erneute Expansion des Glücksspielmarktes in Deutschland erwarten lässt. Laut aktuellen Studien erzielen die Maßnahmen des Spielerinnenschutzes allerdings bisher wenig Wirkung, da ein Zielkonflikt zwischen verantwor-tungsvoller und effektiver Umsetzung dessen und der Geschäftsinteressen der Anbieter besteht.

Die erste Zielsetzung des LGlüG muss aus Sicht der Landesstelle für Suchtfragen (LSS) eine Begrenzung der Spielstätten sein. Dies ist aus unserer Sicht am ehesten und einfachsten durch eine absolute Begrenzung von Spielstätten in Baden-Württemberg (analog Lottoannahmestellen und staatl. Casinos) zu erreichen im Unterschied zu den bisherigen komplizierten Regelungen, Ausnahmeregelungen und Übergangsregelungen. Als Bezugsgröße könnte die Bevölkerungszahl pro Land-/Stadtkreis herangezogen werden. Dies wäre ein Systemwechsel in der Regulierungssystematik, der wir ein hohes Potential an Steuerungswirksamkeit zuschreiben. Ein solcher Systemwechsel muss als langfristiges Ziel betrachtet werden. In der Zwischenzeit dürfen die Regulierungsregeln auf keinen Fall hinter den derzeitigen Regulierungsstand zurückfallen bzw. nicht weniger schützend sein in Bezug auf Spieler*innenschutz und Prävention. Deshalb fordert die LSS:

1. Verbot von Mehrfachkonzessionen bei Neuzulassungen

Die LSS fordert den Gesetzgeber auf, von der Möglichkeit der befristeten Erlaubnis zur Mehrfachkonzession keinen Gebrauch zu machen und stattdessen nach dem Vorbild aus NRW die Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht, insbesondere in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist, weiterhin zu verbieten (§16 Abs. 3 AG GlüStV NRW).

Begründung:
Nach § 29 Abs. 4 GlüStV in der Fassung von 2021 können „Länder […] in ihren Ausführungsbestimmungen vorsehen, dass für am 1. Januar 2020 bestehende Spielhallen, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen stehen, für bis zu drei Spielhallen je Gebäude oder Gebäudekomplex auf gemeinsamen Antrag der Betreiber abweichend von § 25 Absatz 2 eine befristete Erlaubnis erteilt werden kann, wenn mindestens alle Spielhallen von einer akkreditierten Prüforganisation zertifiziert worden sind und die Zertifizierung in regelmäßigen Abständen, mindestens alle zwei Jahre, wiederholt wird, die Betreiber über einen aufgrund einer Unterrichtung mit Prüfung erworbenen Sachkundenachweis verfügen und das Personal der Spielhallen besonders geschult wird. Die Übergangsfrist ist landesgesetzlich festzulegen. Das Nähere regeln die Ausführungsbestimmungen der Länder.“
Die Gründe hierfür sind, dass die alleinigen Regelungsmöglichkeiten im Baurecht es nicht ermöglichen, Vergnügungsstätten und insbesondere die ‚Wachstumsbranche’ Spielhallen zu reduzieren: Ein Komplett-Ausschluss von Vergnügungsstätten ist unzulässig (vgl. BVerwG, 22.5.1987, Az. 4N 4/86). Bisher liegen keine Studien zu den möglichen Auswirkungen von Mehrfachkonzessionen vor, allerdings ist gesichert, dass die Verfügbarkeit des Konsumguts Glückspiel zu einem erhöhten Risikopotenzial führt. So sieht die LSS in der Dichte von Glücksspielangeboten eine potentielle Gefährdung von wirkungsvollem Spieler*innenschutz und Prävention.

2. Beibehaltung der Abstandsregelung

Die LSS fordert, den Bestand der Abstandsregelung von 500 Metern zwischen den Spielstätten inkl. Wettvermittlungsstellen und zu Einrichtungen, in denen sich vorzugweise Kinder- und Ju-gendliche aufhalten, beizubehalten (§ 42 LGlüG)

Begründung:
Die LSS möchte den Kinder- und Jugendschutzgedanken besonders hervorheben, indem ein Mindestabstand von 500 Metern zu bestehenden Einrichtungen zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen erhalten bleibt und diese Regelung auch jene Einrichtungen erfasst, die sich an Kinder unter dem 12. Lebensjahr richten, wie bspw. Kindertagesstätten, Kinderkrippen, Grundschulen oder Spielplätze sowie sonstige Einrichtungen. Es muss einen Mindestabstand von 500 Metern zu allen Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten geachtet werden, unabhängig vom Alter. Entwicklungspsychologisch ist nicht davon auszugehen dass Gewöhnungseffekte erst ab dem 12. Lebensjahr eintreten, sondern über die gesamte Lebensspanne eine Aneignung der Umwelt anhand der gewonnenen Eindrücke erfolgt, wie bspw. beim Modelllernen, kulturbedingte Einstellungen zu einem Suchtmittel oder Geschehnisse im sozialen Umfeld.

3. Anhebung des Zugangsalters auf 21 Jahre

Die LSS fordert das Zugangsalter zu Spielstätten und Wettvermittlungsstellen auf eine Altersgrenze von 21 Jahren anzupassen (analog zu den staatl. Spielbanken).

Begründung:
Der Zutritt zu den staatlichen Spielbanken ist laut LGlüG in Baden-Württemberg ab 21 Jahren erlaubt. Dass der Zugang zum Automatenspiel anders bewertet wird und ab 18 Jahren möglich ist, dafür gibt es keine plausible Erklärung. Belastungen und Folgeprobleme von Gewinn- und Verlusterlebnissen können in beiden Bereichen immens sein. Außerdem sind Jugendliche und junge Erwachsene in ihrem Verhalten risikobereiter als Erwachsene. Für eine entsprechende Sensibilität hinsichtlich möglicher Folgeprobleme fehlt die Lebenserfahrung. Im Sinne des Jugendschutzes sollte das Zugangsalter deshalb präventiv für alle Geldspielarten auf 21 Jahre gesetzt werden.
Per Gesetz ist ein Mensch mit der Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig und es ist ihm erlaubt, an Spielen mit Gewinnmöglichkeit teilzunehmen. Der Zeitraum für das Erwachsenwerden wird biologisch
festgelegt, während dessen Ende durch das Gesetz geregelt ist. Es lässt sich weder im körperlichen noch im kognitiven oder emotionalen Bereich ein Kennzeichen benennen, nach dem man das Ende der Adoleszenz eindeutig festlegen kann. Nicht umsonst sieht das Kinder- und Jugendschutzgesetz vor (§ 41 SGB VIII), auch junge Erwachsene bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres bei Bedarf weiterhin Unterstützung zu gewähren. Mit dieser Norm wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erwachsenenreife keinesfalls automatisch mit der gesetzlichen Volljährigkeit einhergeht.
Um mit strukturellen Maßnahmen den Gefährdungspotentialen von Glücksspielen präventiv zu begegnen, ist es deshalb zielführend, das erlaubte Zutrittsalter für Spielstätten und Wettvermittlungsstellen auch im extraterrestrischen Bereich auf 21 Jahre festzulegen.

4. Konzessionen bei Schließung nicht automatisch neu vergeben

Die LSS fordert, analog zur Forderung keine Mehrfachkonzessionen bei Neuzulassungen zuzulassen, eine konsequente Prüfung neu beantragter Konzessionen für Spielstätten unter Einhaltung aller Vorgaben.

Begründung:
Um eine Angebotsreduzierung von Spielstätten zu erreichen, müssen die Vorgaben zur Vergabe der Betriebserlaubnis für Spielhallen und andere Spielstätten (inkl. Wettvermittlungsstellen) konsequent umgesetzt werden. Laut dem Serviceportal BW ist „[die Erlaubnis für den Betrieb einer Spielhalle […] gebunden an eine bestimmte Person, bestimmte Räume und eine bestimmte Betriebsart. Jede Änderung wie zum Beispiel ein Inhaberwechsel oder ein Umzug macht eine neue Erlaubnis erforderlich. Die Erlaubnis ersetzt die bislang erforderliche Spielhallenerlaubnis. Sie ist auf höchstens 15 Jahre befristet.

5. Einführung einer zentralen Prüfstelle und Glücksspielaufsicht für die Kontrolle von Spielstätten

Die LSS fordert die Errichtung einer zentralen und damit einheitlich und für alle gültigen Prüfstelle (analog der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Rheinland-Pfalz), die fachkompetent und wirksam tätig ist.

Begründung:
Das Umsetzungsdefizit bei der Kontrolle und der ordnungsrechtlichen Überwachung von Spielstätten ist ein Problem. Die damit beauftragten Kommunen sind fachlich und aus Gründen der Kapazität stark herausgefordert. Gerade die dezentrale Kontrollkompetenz durch die Kommunen schafft eine Unübersichtlichkeit und dahingehend auch Unsicherheiten. Eine personell angemessen ausgestattete zentrale Prüfstelle und Glücksspielaufsicht würde diesem Defizit entgegenwirken.

6. Einführung rauchfreier Spielstätten

Die LSS fordert aus Gründen des Gesundheitsschutzes und des Spieler*innenschutzes für alle Spielstätten ein Rauchverbot.

Begründung:
Spielhallen fallen bisher nicht unter den Anwendungsbereich des Nichtraucherschutzgesetzes. Dafür gibt es keine schlüssige Begründung. Vielmehr ist es dringend geboten, dem Servicepersonal und den Gästen der Spielhallen den gleichen Gesundheitsschutz zukommen zu lassen, wie es für Gaststätten der Fall ist. Darüber hinaus muss man zur Kenntnis nehmen, dass es eine hohe Komorbidität zwischen pathologischem Glücksspiel und Rauchen gibt. 80 % der pathologisch Glücksspielenden sind nikotinabhängig. Auch aus Sicht des Spieler*innenschutzes beziehungsweise der Suchtprävention wäre daher ein Rauchverbot in Spielhallen dringend einzuführen. Rauchende Spielerinnen und Spieler müssten zum Rauchen das Spiel unterbrechen. Dies erhöht die Chance der Spielenden, durch eine Spielunterbrechung Abstand zum Spielgeschehen herzustellen und ggf. eine neue Entscheidung zu treffen bzw. das eigene Spielverhalten realistisch wahrzunehmen

7. Die gesetzlichen Regelungen sollen klar, eindeutig und durchführbar sein.

Die LSS fordert, gesetzliche Regelungen im Bereich Glücksspiel auf Landesebene eindeutig und klar zu formulieren, damit diese transparent und durchführbar sind.

Begründung:
Insgesamt wird bei der Durch- und Übersicht der gesetzlichen Regelungen deutlich, dass eine hohe Komplexität an Regeln mit Ausnahmeregelungen und konkurrierenden Gesetzgebungen und Verordnungen besteht. Diese Komplexität erschwert eine konstruktive Kommunikation zwischen Glücksspielanbietern und beispielsweise Schulungsanbietern zum Spieler*innenschutz nach § 7 LGlüG, wie es in Baden-Württemberg von den Suchtberatungsstellen durchgeführt wird. Eine vereinfachte Darstellung der Gemengelage würde auch zu einer erkennbaren und gewollten Auswirkung des Gesetzes und den Verordnungen beitragen.

Stuttgart, Oktober 2020