Der 9. September erinnert wiederkehrend daran, welche verheerenden Folgen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft haben kann. Dabei erinnert die doppelte 9 an die neun Monate, die ein ungeborenes Kind im Körper der Mutter geschützt sein sollte. Aufgrund von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind 10.000 Neugeborene jährlich von einer Fetalen Alkoholspektrums Störung (FASD), einer irreversiblen, schwerwiegenden Behinderung betroffen. Die Landesstelle für Suchtfragen hatte im Juli zu einem Runden Tisch relevante Landesverbände und die FASD-Selbsthilfe eingeladen. Dabei offenbarten sich fatale Informations- und Versorgungslücken. Information, Prävention, Diagnostik, Beratung und Hilfen für Betroffene sind in Baden-Württemberg absolut unzureichend. Deshalb soll jetzt unter Beteiligung von Fachleuten und der Selbsthilfe eine dringend notwendige Landesstrategie für Verbesserungen entwickelt werden.
In Deutschland kommen mindestens 10.000 Kinder jährlich mit einer vorgeburtlichen Alkoholschädigungen zur Welt. Angeborene Fehlbildungen, geistige Behinderungen, hirnorganische Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten können die Folge sein. Die größten Probleme liegen meist in der Bewältigung des Alltags. Kinder, Jugendliche und Erwachsene leiden ein Leben lang unter diesen Folgen – sehr oft unerkannt. Misserfolge in Schule und sozialem Umfeld führen oft zu lebenslangen, sozialen Abwärtsspiralen. Dass FASD so wenig erkannt wird, liegt auch daran, dass die Diagnostik komplex und aufwendig ist und das Thema Alkoholkonsum in der Schwangerschaft immer noch schambehaftet ist. Selbst Fachdienste und Ärzt:innen tun sich schwer, das tabuisierte Thema anzusprechen. Dabei ist es nicht zwangsläufig eine Suchterkrankung der Mutter, die zu FASD führt, in vielen Fällen ist es schlicht ein sorgloser Umgang mit Alkohol. „Es kann nicht sein, dass eine Problematik von solch existentieller Tragweite so sehr unter dem Radar läuft. Wir müssen alle Berufsfelder, also Ärzt:innen, Lehrer:innen, Fachkräfte in allen Beratungssparten ermutigen und fortbilden, mit dem Thema Alkoholkonsum in der Schwangerschaft offensiver umzugehen,“ fordert Dorothea Aschke vom Paritätischen, stellv. Vorsitzende der Landesstelle.
So berichten beispielsweise Adoptiveltern von jahrelangen Odysseen, ohne kompetente Diagnostik und Beratung zu finden. In den betroffenen Familien macht sich dann Hilflosigkeit und Erschöpfung breit. Aber nicht nur Kinder, auch betroffene Erwachsene tappen im Dunkeln bei FASD Problemen oder müssen quer durch Deutschland reisen, um kompetente Fachstellen zu finden. Deshalb hat die Landesstelle nun die Initiative ergriffen, um eine nachhaltige Landesstrategie für Verbesserungen in allen Bereichen anzustoßen. Nicht Alles muss neu erfunden werden, aber Vieles muss neu vernetzt werden, so dass Expertenwissen sowie Anlauf- und Kompetenzstellen sichtbar werden.
„Auch als Suchthilfe haben wir da blinde Flecken. Aufklärung zu Alkohol in der Schwangerschaft muss zum Standard in unseren Präventionsprogrammen werden. Aber auch in Beratung und Therapie muss das Thema verankert sein. Zu vermuten ist, dass manche von Sucht betroffenen Menschen im Hintergrund auch eine undiagnostizierte FASD Problematik mit sich rumschleppen“ – betont Aschke selbstkritisch. Daran will die Landesstelle arbeiten und bis zum nächsten weltweiten Jahrestag des alkoholgeschädigten Kindes deutlich vorangekommen sein.
Aber nicht nur die Fachwelt, auch die Politik ist aufgerufen, ihre Hausaufgaben zu machen. Die öffentliche Wahrnehmung von Alkohol als allgegenwärtigem Lifestyle Produkt muss sich durch eine glaubhafte Präventionspolitik wandeln. Und Baden-Württemberg als Weinland, mit seiner Brennereikultur und einer Staatsbrauerei ist da besonders herausgefordert. Warum nicht mal vorangehen und auf den staatseigenen Bierprodukten den Warnhinweis „Kein Alkohol in der Schwangerschaft“ labeln?
Für die Redaktion:
https://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/FS_Alkohol_in_der_Schwangerschaft.pdf - Factsheet
www.fasd-deutschland.de – Selbsthilfe
https://fazit-jugendhilfe.de/angebot/ (FASD Beratungsstelle in BW)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Broschueren/FASD_SozR-Fragen.pdf
https://fasd-fachzentrum.de/ - Hilfen für erwachsene Betroffene
https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/zentrum-fuer-kinder-und-jugendmedizin/i-allgemeine-paediatrie-neuropaediatrie-stoffwechsel-gastroenterologie-nephrologie/behandlungsspektrum/neuropaediatrie-und-stoffwechselmedizin/sozialpaediatrisches-zentrum (Diagnostik, FASD Sprechstunde)
Kontakt: Dr. John Litau, Geschäftsführer, Landesstelle für Suchtfragen der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V., Tel.: 0711/61967-0, Mail: litau@liga-bw.de
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