10 Mai

Dienstag, 12.07.2022

Die Landestagung ist jährlich ein Höhepunkt für die Landesstelle für Suchtfragen. Ein Ereignis in der Suchthilfelandschaft in Baden-Württemberg, wo Fachkräfte, Funktionsträger:innen und Einrichtungen zusammenkommen um sich in der Breite und in der Tiefe zu drängenden Themen in der Suchthilfe austauschen. In diesem Jahr schien das Thema absolut drängend zu sein. Denn die Resonanz war noch nie so groß. Die Teilnehmenden kamen aus der Suchthilfe, den sozialpsychiatrischen Diensten, der Suchtpsychiatrie, betreuten Wohneinrichtungen sowie der Straffälligenhilfe oder Wohnungslosenhilfe. Politik und Verwaltung waren natürlich auch vertreten.
Und in diesem Jahr konnten wir die Tagung in Kooperation mit den Zentren für Psychiatrie auf die Beine stellen. Das bietet sich bei dem Tagungsthema an, ist aber keine Selbstverständlichkeit. Die gute Zusammenarbeit zwischen Suchthilfe und Suchtpsychiatrie ist gut für die Institutionen und die Menschen in Baden-Württemberg.

„DOUBLE TROUBLE – Sucht kommt selten allein“ hat die Sucht im Kontext von psychischen und psychiatrischen Problemen und Symptomen beleuchtet. Im Laufe der beiden Hauptvorträge und der Foren wurde schnell klar, dass es sich bei Komorbidität und Multimorbidität um eine riesige Herausforderung an die Fachkräfte handelt. Aber von Anfang an.

Frau Wollny, die Direktorin der DRV Baden-Württemberg hat in einem würdigenden Grußwort deutlich erkennen lassen, dass die Sucht Reha auch für die Kostenträger eine große Herausforderung ist: kompliziertes Klientel, teure Behandlung, aufwendige Fallbearbeitung. Sie ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass die Zusammenarbeit zwischen den Suchthilfeträgern und der DRV – ganz besonders auch in Modellprojekten – hohe Wertschätzung erfährt und die DRV in den Trägern und der LSS einen verlässlichen Partner sieht für Kontinuität und Innovation.  

Die Fachvorträge von Herrn Dr. Martin Reker über die psychiatrische Versorgung und Frau Dr. Wiebke Voigt zum Thema Traumagedächtnis hatten unisono die Botschaft, dass der Kontakt und die Bindung zum Patienten und zur Patientin respektvoll aufgebaut und gestaltet werden müssen. Dabei ist es entscheidend, dass die Therapeutin oder der Therapeut all sein Fachwissen und sein therapeutisches Handeln als generelles Rüstzeug einsetzt zum Wohle der Patient:innen. Als Beobachterin habe ich verstanden, dass es keinesfalls hilfreich ist bei komplexer Diagnosestellung seine Therapiemanuale „abzuspulen“. Mehrfachdiagnosen bedürfen immer einer ganz genauen Beobachtung und diversen Wahrnehmung der Patient:innen sowie eine Rückversicherung der eigenen Wahrnehmung bei den Patient:innen. Das ist aber noch nicht genug der Herausforderung. Ohne enge Abstimmung und Zusammenarbeit mit den sozialarbeiterischen Diensten, die sich um die Daseinsvorsorge und -fürsorge kümmern, geht es nicht. Netzwerken ist in dem Zusammenhang die Lösung. In den Vorträgen wurde dieses komplexe Zusammenspiel von Behandler, Patient:in, Diagnose, Alltagsprobleme und nicht zuletzt Überlebensfragen an Fallbeispielen begreifbar. – Die hohe Aufmerksamkeitsspanne bei den Teilnehmenden zeugte davon, dass Herr Dr. Reker und Frau Dr. Voigt die Balance zwischen komplizierten, fachlichen Zusammenhängen und praktischem Handeln exzellent vermittelt haben.

Die beiden Experten haben dann den Fachtag auch weiter begleitet in den entsprechenden Foren. In den Foren wurde die Sucht im Zusammenspiel mit psychischer Komorbidität, Trauma, ADHS und Psychosen vertieft. Und wie immer machten wir die Erfahrung, dass die Zeit der Foren nicht ausreicht, um all die drängenden Fragen der Praxis abschließend zu diskutieren. Dies nimmt die Landesstelle als Auftrag mit, diesen Themen in anderen Formaten weiterhin Raum zu geben. Ein großer Dank gilt den Moderator:innen und Referent:innen der Foren, die diese Themen mit viel Engagement bewegt haben.

Ein Diskussionspodium zum Abschluss einer Tagung ist immer etwas gewagt. Die bange Frage, kommt überhaupt noch jemand, steht immer im Raum. Das dann fast voll besetzte Plenum zum Abschluss war eine sehr überzeugende Demonstration, dass das Angebot seine Berechtigung hatte. Vertreter:innen der Suchthilfe, Suchtselbsthilfe, Suchtpsychiatrie, Landesärztekammer und Landespsychotherapeutenkammer diskutierten über die neue Richtlinie Komplexbehandlung. Natalia Albrecht, die Landessprecherin der Kommunalen Suchtbeauftragten entlockte mit ihrer fachkundigen Moderation den Podiumsteilnehmer:innen so manches Geständnis, nämlich, dass sie der Richtlinie eigentlich gar keine Zukunft einräumen – zu bürokratisch, zu praxisfern und aussichtslos da nicht finanziert. Dennoch bekannten sich alle Teilnehmenden dazu, dass es ohne vernetztes Denken und Handeln konkret vor Ort nicht geht. Vernetzung in der Behandlung darf nicht als add on gedacht werden, sondern muss als selbstverständlicher Bestandteil einer Behandlung innerhalb der Einrichtungen sowie auch zwischen den Institutionen angelegt werden. Besonders die Selbsthilfe legte den Finger in die Wunde und prangerte an, dass die Versorgung durch niedergelassene Therpeut:innen vollkommen unzureichend ist. Ob hier Psychotherapeut:innen aus der stationären und ambulanten Suchthilfe hier eine Lösung sein können, indem sie entsprechende formale Erlaubnisse erhalten zur Weiterbehandlung, wurde seitens der Suchthilfe eingebracht. Sicher ist, dass an kreativen Lösungen gearbeitet werden muss und dass auch neue Behandlungspfade oder besser gesagt Behandlungsnetze, entwickelt werden müssen. Das Podium hat auch der Landesstelle wichtige Anregungen auf die To Do Liste mitgegeben.

Last but not least gilt den beiden Moderatorinnen Elke Wallenwein (Vorsitzende LSS, Diakonisches Werk Württemberg) und Dorothea Aschke (stellv. Vorsitzende LSS, Paritätische LV) ein Dank und Kompliment für die geschmeidige Navigation durch den Tag und den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle für die perfekte und geräuschlose Organisation im Hintergrund.

Wir bedanken uns bei der DAK Gesundheit für die Förderung der Landestagung.


Tobias Link, PZN Wiesloch
Plenum
Saskia Wollny,
Direktorin DRV BW
Dr. Martin Reker, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel
Natalia-Anna Albrecht,
Sprecherin der KSB in BW
Dr. Wiebke Voigt,
Kamillushaus Essen
Dr. Paula Hezler-Rusch,
Landesärztekammer und Nikolaus Lange,
Stellv. Geschäftsführer BWLV
Roland Männer,
Kreuzbund Diözesanverband
Rottenburg Stuttgart e.V.
Michael Müller-Mohnssen,
LPK Baden-Württemberg