Gerne nimmt die Landesstelle für Suchtfragen Stellung zu den Punkten 6, 9 und 13 der Drucksache 17 / 3618 zur Vermarktung alkoholischer Getränke als Kulturgut in Baden-Württemberg.
Zu 6. inwiefern sie der Ansicht ist, dass die Bezeichnung alkoholischer Getränke wie Wein, Bier oder Obstbrände als sogenanntes Kulturgut einen schädlichen Konsum von Alkohol begünstigen kann;
Laut Duden ist ein Kulturgut „etwas, was als kultureller Wert Bestand hat und bewahrt wird“. Der Begriff „Kulturgut“ ist jedoch nicht mit dem Begriff „Tradition“ zu verwechseln. Es gibt zahllose Genuss- und Konsumgüter, die eine ausgewiesene Tradition aufweisen können. Das allein macht sie noch nicht zu einem Kulturgut. Kulturgut kann als ein durch und durch positiver Begriff bewertet werden. Allerdings ist neben dem „Alkohol“ kein sogenanntes Kulturgut bekannt, dass derart weitreichende, negative Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Gesundheit der Menschen hat. Der allgemeine Alkoholkonsum, nicht nur der süchtige Konsum, bedeutet eine enorme Krankheitslast für die Gesellschaft und akute sowie chronische Erkrankungen für die konsumierenden Menschen. Alkoholsucht führt zu früher Sterblichkeit. Während in früheren Jahrhunderten hauptsächlich die Folgen von Ausschweifungen unter Alkohol gesehen wurden, sind mit zunehmender medizinischer Forschung die gesundheitlichen Schäden für die Konsumierenden nach und nach bekannt geworden. Bei den über 200 Alkohol assoziierten Krankheiten muss besonders das hohe Krebsrisiko muss erwähnt werden. Seitdem ist der Alkoholmarkt in der Werbung davon abgerückt, die Substanz direkt zu bewerben. Sie setzt ganz auf Imagewerbung. In diesem Kontext ist auch die Deklaration als Kulturgut zu bewerten. Werbung hat immer zum Ziel, den Absatz eines Produktes zu sichern und zu steigern. So muss auch in diesem Kontext festgehalten werden, dass Alkohol als Kulturgut bezeichnet wird, um einen Werbeeffekt zu erzielen. Aus der Perspektive der Gesundheitsförderung und der Suchtprävention ist auf Werbung für Suchtsubstanzen explizit zu verzichten.
Die Deklaration von Wein, Bier und Obstbränden als Kulturgut verharmlost die hohen Risiken des Alkoholkonsums und trägt damit zu schädlichem Alkoholkonsum und einer hohen Krankheitslast bei.
Zu 9. welche Konsequenzen sie aus der Entscheidung der EU für die eigene Alkoholpolitik in Baden-Württemberg zieht.;
Die Landesstelle für Suchtfragen setzt sich dafür ein, dass Baden-Württemberg den Handlungsspielraum im Bereich Alkoholpolitik so weit ausschöpft wie möglich. Damit soll das Gesundheitsziel „Alkoholkonsum reduzieren“ unterstützt werden. Bekanntermaßen wirken sich die folgenden drei Maßnahmen der Verhältnisprävention auf die Reduzierung des Alkoholkonsums aus: höhere Preise (Steuerpolitik), Werbeeinschränkungen bzw. Verbote und die Verringerung der Verfügbarkeit. Zu Letzterem hatte Baden -Württemberg durch das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in den Jahren 2010 bis 2017 die richtigen Weichen gestellt. Diese Begrenzung der Verfügbarkeit wurde aus nicht vermittelbaren Gründen leider wieder aufgegeben. Steuerpolitik und gesetzliche Werbebegrenzungen lassen sich aufgrund der Bundeszuständigkeit nicht im Alleingang eines Bundeslandes umsetzen. Als Landesstelle haben wir jedoch den Anspruch an die Landesregierung, dass sie sich auf Bundesebene für eine Erhöhung der Alkoholsteuer und die Einführung einer Weinsteuer einsetzt. Bei Werbebegrenzungen hat das Land die Möglichkeiten, bei landeseigenen Produkten, Werbeflächen oder Veranstaltungen Alkoholwerbung explizit auszuschließen.
Besonders wichtig ist der Landesstelle für Suchtfragen, dass der Alkoholkonsum in der Schwangerschaft offensiv als hohes Risiko deklariert wird und durch Etikettierung auf den landeseigenen Produkten (z.B. Staatsbrauerei Rothaus) Warnhinweise eingeführt werden.
Zu 13. inwieweit sie einen Zielkonflikt zwischen der Gesundheitspolitik und Alkoholprävention und der Vermarktung alkoholischer Getränke als Kulturgut sieht;
Alkohol muss als riskantes Konsumgut in der Gesundheitspolitik seinen Niederschlag finden. Gesundheit ist ein hohes Gut und darf nicht durch Gewinnstreben leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.
Die Landesstelle für Suchtfragen bewertet es grundsätzlich als kritisch, alkoholische Getränke als Kulturgut zu bewerten. Daher steht sie einer Vermarktung mit diesem Label ebenso kritisch gegenüber.
Der auf der Hand liegende Zielkonflikt könnte aufgehoben werden, indem der Begriff „Kulturgut“ neu bewertet wird. Er müsste eingesetzt werden um den präventiven Anteil zu betonen, einen gesundheitlich verträglichen Konsum von Alkohol zu verfolgen und konsequenten Kinder- und Jugendschutz zu verfolgen sowie besonders vulnerable Verbraucher:innen zu unterstreichen. Er müsste sich deutlich abheben von Werbung zur Absatzsteigerung und zur Erreichung neuer Konsumentengruppen.
Konsequente Suchtprävention ist nicht ohne einen allgemeinen Konsumrückgang vorstellbar.