Stellungnahme der Suchthilfe
08 Sep

Null Toleranz für Alkohol in der Schwangerschaft – Landesstelle fordert strukturelle Verbesserungen

Stuttgart, 09.09.2022

Der 9. September erinnert wiederkehrend daran, welche verheerenden Folgen
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft haben kann. Dabei erinnert die doppelte 9 an die
neun Monate, die ein ungeborenes Kind im Körper der Mutter geschützt sein sollte. Aufgrund
von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind 10.000 Neugeborene jährlich von einer
Fetalen Alkoholspektrums Störung (FASD), einer irreversiblen, schwerwiegenden
Behinderung betroffen. Die Landesstelle für Suchtfragen hatte im Juli zu einem Runden Tisch
relevante Landesverbände und die FASD-Selbsthilfe eingeladen. Dabei offenbarten sich fatale
Informations- und Versorgungslücken. Information, Prävention, Diagnostik, Beratung und
Hilfen für Betroffene sind in Baden-Württemberg absolut unzureichend. Deshalb soll jetzt
unter Beteiligung von Fachleuten und der Selbsthilfe eine dringend notwendige
Landesstrategie für Verbesserungen entwickelt werden.

In Deutschland kommen mindestens 10.000 Kinder jährlich mit einer vorgeburtlichen
Alkoholschädigungen zur Welt. Angeborene Fehlbildungen, geistige Behinderungen,
hirnorganische Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten
können die Folge sein. Die größten Probleme liegen meist in der Bewältigung des Alltags.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene leiden ein Leben lang unter diesen Folgen – sehr oft
unerkannt. Misserfolge in Schule und sozialem Umfeld führen oft zu lebenslangen, sozialen
Abwärtsspiralen. Dass FASD so wenig erkannt wird, liegt auch daran, dass die Diagnostik
komplex und aufwendig ist und das Thema Alkoholkonsum in der Schwangerschaft immer
noch schambehaftet ist. Selbst Fachdienste und Ärzt:innen tun sich schwer, das tabuisierte
Thema anzusprechen. Dabei ist es nicht zwangsläufig eine Suchterkrankung der Mutter, die zu
FASD führt, in vielen Fällen ist es schlicht ein sorgloser Umgang mit Alkohol. „Es kann nicht
sein, dass eine Problematik von solch existentieller Tragweite so sehr unter dem Radar läuft.
Wir müssen alle Berufsfelder, also Ärzt:innen, Lehrer:innen, Fachkräfte in allen
Beratungssparten ermutigen und fortbilden, mit dem Thema Alkoholkonsum in der
Schwangerschaft offensiver umzugehen,“ fordert Dorothea Aschke vom Paritätischen, stellv.
Vorsitzende der Landesstelle.

So berichten beispielsweise Adoptiveltern von jahrelangen Odysseen, ohne kompetente
Diagnostik und Beratung zu finden. In den betroffenen Familien macht sich dann Hilflosigkeit
und Erschöpfung breit. Aber nicht nur Kinder, auch betroffene Erwachsene tappen im Dunkeln
bei FASD Problemen oder müssen quer durch Deutschland reisen, um kompetente
Fachstellen zu finden. Deshalb hat die Landesstelle nun die Initiative ergriffen, um eine
nachhaltige Landesstrategie für Verbesserungen in allen Bereichen anzustoßen. Nicht Alles
muss neu erfunden werden, aber Vieles muss neu vernetzt werden, so dass Expertenwissen
sowie Anlauf- und Kompetenzstellen sichtbar werden.

„Auch als Suchthilfe haben wir da blinde Flecken. Aufklärung zu Alkohol in der
Schwangerschaft muss zum Standard in unseren Präventionsprogrammen werden. Aber auch
in Beratung und Therapie muss das Thema verankert sein. Zu vermuten ist, dass manche von
Sucht betroffenen Menschen im Hintergrund auch eine undiagnostizierte FASD Problematik
mit sich rumschleppen“ – betont Aschke selbstkritisch. Daran will die Landesstelle arbeiten
und bis zum nächsten weltweiten Jahrestag des alkoholgeschädigten Kindes deutlich
vorangekommen sein.
Aber nicht nur die Fachwelt, auch die Politik ist aufgerufen, ihre Hausaufgaben zu machen. Die
öffentliche Wahrnehmung von Alkohol als allgegenwärtigem Lifestyle Produkt muss sich
durch eine glaubhafte Präventionspolitik wandeln. Und Baden-Württemberg als Weinland, mit
seiner Brennereikultur und einer Staatsbrauerei ist da besonders herausgefordert. Warum
nicht mal vorangehen und auf den staatseigenen Bierprodukten den Warnhinweis „Kein
Alkohol in der Schwangerschaft“ labeln?

Für die Redaktion:
https://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/FS_Alkohol_in_der_Schwangerschaft.pdf – Factsheet

www.fasd-deutschland.de – Selbsthilfe

https://fazit-jugendhilfe.de/angebot/ (FASD Beratungsstelle in BW)

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Broschueren/FASD_SozR-Fragen.pdf

https://fasd-fachzentrum.de/ – Hilfen für erwachsene Betroffene

https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/zentrum-fuer-kinder-und-jugendmedizin/i-allgemeine-paediatrie-neuropaediatrie-stoffwechsel-gastroenterologie-nephrologie/behandlungsspektrum/neuropaediatrie-und-stoffwechselmedizin/sozialpaediatrisches-zentrum (Diagnostik, FASD Sprechstunde)